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AutorenbildHenrik Maria Winterscheid

Artikel | Dornröschen, Thalia oder Zellandine? Beitrag für fantastischeantike.de (Antikenrezeption)



„In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, fiel sie auf das Bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbreitete sich über das ganze Schloss: der König und die Königin, die eben heimgekommen waren und in den Saal getreten waren, fingen an einzuschlafen und der ganze Hofstaat mit ihnen.“


Zum Geleit: Märchen von zwei Brüdern mit dem Namen Grimm


Ein Feuer prasselt lustig im Kamin, wirft knisternd tanzende Lichter in ein behagliches, vielleicht etwas altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer. In einem ledernen Ohrensessel sitzt ein älterer Herr, eine Brille tief auf die Nase gesetzt, beugt er sich, Rauchschwaden aus seiner Pfeife blasend, über ein Buch und beginnt mit gehaltvoller Stimme zu lesen: „Es war einmal…“



Das Gute gegen das Böse: Erste Indizien?


Wird an Märchen gedacht, malt sich dieses Bild häufig von selbst. Denn Märchen vollbringen eine erstaunliche Gradwanderung: Sie vermögen einen düsteren Schauer über den Rücken zu jagen, erscheinen zuweilen sogar brutal und grausam, und doch verströmen sie ein nostalgisches Odeur, das es behaglich werden lässt, erinnern an kosiges Erzählen von Geschichten am heimischen Kamin oder aber zur Guten Nacht. Denn letzten Endes obsiegt in ihnen doch das Gute über das Böse, die Prinzessin wird gerettet, die Hexe, die eben noch ein unschuldiges Kind verspeisen wollte, wird kurzerhand selbst in den Ofen verfrachtet.

Wir alle kennen dieses binäre Spiel: ‚Gut gegen Böse‘ – vielleicht schon eine antike Erzählformel? Ja und nein, denn es handelt sich vielmehr um eine anthropologische Konstante menschlichen Erzählens. Deshalb finden sich solche Muster natürlich auch in der Antike, aber eben nicht nur; sie treten auch in mannigfaltigen, teilweise wesentlich älteren Erzählungen und Epochen auf. Damit ist die Formel ‚Gut-gegen-Böse‘ nicht spezifisch antik und fällt durch das Raster einer Antikenrezeption.

Wie könnte sich dann eine Rezeption des Altertums in einem Märchen grimm’scher Machart äußern? Immerhin scheint eine antike Säule, ein Philosoph in Denker-Pose oder gar ein Hannibal mit einer Kohorte exotischer Elefanten nicht so ganz in unser Bild eines europäischen Märchens zu passen. Und damit liegt man goldrichtig: Die Suche nach jenen Elementen gestaltet sich bisweilen nicht ganz so einfach. Vieles ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, oder – um dies vorweg zu nehmen – zumindest nicht in jüngster Fassung.


Expedition in den Märchenwald: Eine letzte Reisewarnung

Um all dies zu ergründen, begeben wir uns auf eine abenteuerliche Expedition durch den Märchenwald der Zeit. Damit wir uns in seinen Irrungen und Wirrungen nicht verlaufen und den angestrebten Umfang wahren, beschränken sich unsere Wegmarken lediglich auf das Feststellen der Rezeptionen: Sie sind unsere Brotkrumen, die uns wieder hinausgeleiten, hinaus aus dem Wald der antiken schlafenden Schönheit, auf unserer Suche nach dem Dornröschen des Altertums – aber Obacht, es folgt eine letzte Warnung! Um die wuchernde Hecke zu durchstoßen und die Rose der Erkenntnis zu pflücken, muss man Vorsicht walten lassen…


…denn es sind Dornen am Röschen: Von der Dornenhecke zum Feuerring


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